Kulturgut
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Der Weg der alten Getreidesorten zurück auf unsere Teller war lang: Auf der Suche nach regionaler Vielfalt in der Landwirtschaft und ursprünglichem Geschmack mit Tradition, wurden in einem Saatgutarchiv alte Sorten aus dem Allgäu wiederentdeckt. Diese alten Sorten haben sich über Jahrzehnte an das regionale Klima und die Böden angepasst. Sie bergen somit ein großes genetisches Potenzial. Das macht sie zu einem wertvollen Kulturgut und einem kulinarischen Erbe für eine vielfältige und zukunftsfähige Ernährung.
Neu interpretiert, kombiniert mit regionalen Spezialitäten und handwerklichem Können, geben wir diesem Kulturgut seinen verdienten Platz zurück.
Babenhauser
Rotvesen
Allrounder mit ursprünglichem Geschmack
Vor über 100 Jahren wurde der Babenhauser Zuchtvesen aus mehrjährigem Nachbau einer Vorarlberger Landsorte von der Fürst Fugger’schen Saatzucht in Babenhausen im Unterallgäu herausgezüchtet. Er kam 1916 in den Handel und wurde in Babenhauser Rotvesen umbenannt. Die Bezeichnung „Vesen“ war damals für Dinkel üblich. Der Babenhauser Rotvesen war wohl die am weitesten verbreitete Dinkelsorte in der Region. Sie hatte einen guten Korn- und hohen Strohertrag. Im Juni 2023 wurde die Sorte in die Rote Liste der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen aufgenommen.
Auch heute noch zeigt die alte Sorte, was in ihr steckt: Sie hat sich im Anbau und in der Verarbeitung bewährt und ist das Flagship unter den alten Allgäuer Sorten.
Der Babenhauser Rotvesen ist robust und eignet sich auch für raue, niederschlagsreiche und höhere Lagen. Zwischen Ende September bis Mitte Oktober wird der Dinkel ausgesät. Die Halme werden bis zu 1,60 m hoch und haben eine mittlere Standfestigkeit. Die alte Sorte liefert im Ökolandbau ähnliche Erträge wie die vergleichbare Sorte Oberkulmer Rotkorn. Der hohe Strohertrag ist für die Rinderhalter im Allgäu gut verwertbar. Gerade in Zeiten extremer Witterungsbedingungen zeigt der Babenhauser Rotvesen sein Potenzial. Sowohl in trockenen als auch in nassen Jahren blieben die Erträge ähnlich konstant. Seit 2023 werden rund 9 ha Babenhauser Rotvesen angebaut.
Das Mehl der alten Dinkelsorte hat gute Backeigenschaften und ein besonders feines und nussiges Aroma. Es ist als Allrounder in der Küche und Backstube einsetzbar: Von Brot, Semmeln, Seelen bis über Pizzateig, Spätzle oder Kuchen. Die Rapunzel Backstube verwendet den Babenhauser Rotvesen für alle Dinkel-Produkte und ist von der Qualität und dem Geschmack überzeugt.
Das Bio-Dinkelmehl vom Typ 630 ist in 2,5 kg Tüten bei den genannten Verkaufsstellen erhältlich. Weitere Partner, die den alten Dinkel verwenden, finden Sie auf unserer Homepage.
Allgäuer
Land
Der Unterschätzte mit viel Potenzial
Typisch für alte Landsorten ist die Benennung nach ihrem geographischen Ursprungsgebiet. Auch wenn keine weiteren detaillierten Informationen vorliegen, ist die Herkunft der alten Landweizensorte Allgäuer Land somit offensichtlich. Der Anbau des Winterweizens begann 2018 mit rund 1,5 kg. Seit 2023 werden zwischen 2 und 5 ha angebaut. Im Experimental Food Lab „Alte Weizensorten“ der Genussakademie Bayern, konnte der Allgäuer Land als einer der Favoriten überzeugen. Das Ergebnis zeigt, dass er Potenzial für den Einsatz in traditionellen Bäckereien hat.
Leider stellen wir fest, dass dem Weizen ein schlechter Ruf vorauseilt. Deshalb ist es noch schwierig, die Vermarktung vom Allgäuer Landweizen zu etablieren.
Wir empfehlen: Überzeugen Sie sich selbst vom Geschmack und der Bekömmlichkeit der Allgäuer Land Produkte, die durch handwerkliche und traditionelle Verarbeitung entstehen.
Die unverzüchtete Landweizensorte Allgäuer Land ist winterhart, robust und vergleichsweise anspruchslos. Er kommt auch in höheren Lagen und mit regenreicher Witterung gut zurecht. Die Halme werden bis zu 1,60 m hoch und zeigen dabei noch eine gute Standfestigkeit. Der Ertrag ist rund 20 % niedriger als neue Öko-Zuchtsorten. Dafür fällt der Strohertrag deutlich höher aus, welcher für den Ökolandbau wichtig ist. Die Felder des Allgäuer Landweizens bieten durch die biologische Bewirtschaftung mit einer geringeren Saatstärke mehr Raum für bunte Ackerwildkräuter und somit für die biologische Vielfalt.
Die Verarbeitung von Mehl aus Allgäuer Landweizen erfordert Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Wird der Teig handwerklich verarbeitet, können hervorragende Ergebnisse erzielt werden. Besonders wichtig sind eine kurze Knetzeit, die Wassermenge zu reduzieren und eine lange Teigruhe. So behält der Teig die nötige Stabilität und hat genügend Zeit, sein volles Aroma zu entfalten. Im Vergleich zu herkömmlichem Weizen, hat der Allgäuer Land eine gelblichere Farbe.
Die Rapunzel Backstube verwendet diese regionale Landsorte in kleinem Umfang, teilweise mit anderen Mehlen gemischt, in ausgewählten Backwaren. Dabei entstehen zum Beispiel Landbrote mit splittriger Kruste. Für die Zukunft ist eine Vermarktung von Mehl geplant.
Kaufbeurener
Vierzeilige
Viel können wir nicht über die vierzeilige Sommergerste Kaufbeurener Vierzeilige berichten. Sie wurde vor 1945 angebaut. Ein Züchter oder Stammbaum ist nicht bekannt. Die Gerste ist in der Roten Liste gefährdeter einheimischer Nutzpflanzen gelistet und wurde bisher nur im kleinen Maßstab vermehrt, um das Saatgut zu erhalten.
Wir suchen engagierte Landwirte, die sich auf das Abenteuer einlassen wollen, herauszufinden, was in der Kaufbeurener Vierzeilige noch alles steckt.
Lichtis
Astra
Die zweizeilige Sommergerste Lichtis Astra ist eine weitere ursprüngliche Sorte aus der Region. Der Züchter war Dr. Philipp Lichti vom Gut Herrlehof, das zwischen Augsburg und Donauwörth liegt. Um besseres Pflanzenmaterial und höhere Erträge zu erzielen, züchtete er ab 1920 Weizen und Gerste (Quelle: Gumpp, 2009). Die Sommergerste Lichtis Astra wurde 1951 als Sorte zugelassen.
Bisher wurde die Gerste nur in geringem Umfang zur Saatguterhaltung angebaut.
Wir suchen noch einen Bauer und einen Brauer, die dieser alten Sorte eine Chance für ein Comeback geben möchten.
Geschichte
100
Jahre
Alte Sorten haben sich über Jahrhunderte an die Boden- und Klimaverhältnisse ihres Anbaugebietes natürlich angepasst. Es handelt sich dabei um züchterisch unbeeinflusste „Landsorten“ und „alte Zuchtsorten“, meist aus der Zeit vor 1945. Sie sind nicht zu verwechseln mit den „Urgetreide-Arten“ wie Einkorn und Emmer, welche bereits vor vielen Tausend Jahren angebaut wurden.
Durch die Industrialisierung und Modernisierung der Landwirtschaft wurden die alten Sorten durch ertragreichere Zuchtsorten verdrängt. Heute werden diese nur noch selten angebaut und sind oft vom Aussterben bedroht.
Die genetische Vielfalt alter Getreidesorten kann jedoch für die heutige Züchtung von großer Bedeutung sein. Sie birgt die Chance, wichtige Eigenschaften im Hinblick auf die Anpassungsfähigkeit an Klimaveränderungen, Krankheitsresistenzen und aktueller Verbraucherwünsche zu haben. Alte Sorten erhöhen zudem die biologische Vielfalt auf den Äckern, die ansonsten aufgrund des deutschen Saatgutrechts auf eine überschaubare Anzahl von Sorten der gängigen Kulturen Weizen, Gerste, Mais, Raps und Roggen beschränkt ist.
SchatzBewahrer
Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) hat im Rahmen des Forschungsprojektes „Erhaltung bayerischer, landwirtschaftlicher pflanzengenetischer Ressourcen“ über 700 alte bayerische Sorten von 23 landwirtschaftlichen Kulturpflanzen gesichtet und erfasst. Die meisten stammten aus Genbankbeständen. Dabei wurden die vier alten Sorten Allgäuer Land (Weizen), Lichtis Astra und Kaufbeurener Vierzeilige (Gerste), Babenhauser Rotvesen (Dinkel) der Region Schwaben/Allgäu zugeordnet. Diese pflanzengenetischen Schätze können nur erhalten werden, wenn sie in ihren Ursprungsregionen angebaut werden, damit sie an den natürlichen Kreisläufen teilnehmen und sich weiterentwickeln können. Dafür hat die LfL 2018 die Initiative „SchatzBewahrer “ ins Leben gerufen.
Durch das Engagement zweier Bio-Landwirte aus dem Günztal, unseren SchatzBewahrern, haben Kleinstmengen von je 1,5 kg Saatgut der alten Sorten den Weg zurück auf die heimischen Felder gefunden und werden seither mit viel Herzblut und Ausdauer angebaut.
Zukunftsprojekt
Allgäuer
Leuchtturm
Wir haben es geschafft! Für zwei unserer alten Sorten, den Babenhauser Rotvesen und den Allgäuer Land, haben wir eine Wertschöpfungskette vom Acker bis zur Ladentheke aufgebaut. Mit Mut, Engagement und Ausdauer vom Landwirt über den Müller bis hin zum Bäcker wurde die Vielfalt auf heimischen Feldern und Tellern erhöht und ein in Vergessenheit geratenes Kulturgut wiederbelebt.
Jetzt geht es darum, aus der Nische in den Alltag der Region zu kommen. Und dafür brauchen wir Verbraucherinnen und Verbraucher, für die Geschmack, Genuss und eine nachhaltige Zukunft für unsere Region an erster Stelle stehen.
Mit unserem kleinen, regionalen Leuchtturmprojekt möchten wir vorangehen und so weitere Betriebe sowie Regionen motivieren, sich für den Erhalt alter Sorten einzusetzen.
Unser Fazit ist: Es geht – sogar sehr gut – und es ist ein Gewinn für Mensch und Umwelt.